Gemmingen 1900 - 1945
Ende des 19. Jahrhunderts beschloss der Gemminger Gemeinderat, das
historische Rathaus an der Eppinger Straße / Einmündung Bahnhofsstraße
aufzugeben und ein neues Rathaus in Verbindung mit einem Postgebäude an
der Schwaigerner Straße / Ecke Hausener Straße zu errichten. Das Bauvor-
haben wurde in den Jahren 1902/3 umgesetzt. Es entstand ein Verwaltungs-
gebäude im neugotischen Stil, das über seinem Sandsteinsockel mit Ziegel-
steinen aus der Gemminger Ziegelei erbaut wurde und für 90 Jahre als Rat-
haus diente.
Bereits 1907 plante Gemmingen, eine zentrale Wasserversorgung ein-
zurichten, doch scheiterte dieses Vorhaben ebenso wie die Absicht, die
Gemeinde bereits 1911 mit elektrischer Energie zu versorgen (siehe
Infrastruktur und Versorgung). Der 1. Weltkrieg (1914-1918) verhinderte
schließlich die Durchführung beider Maßnahmen. Bereits wenige Wochen nach
Kriegseintritt setzte die Regierung Höchstpreise für lebensnotwendige Grund-
nahrungsmittel fest, um der Verteuerung entgegenzuwirken. Es folgten
weitere Regelungen über die Beschlagnahme und Erfassung der Ernten sowie
über Ablieferungskontingente an Feldfrüchte, von denen die bäuerliche
Bevölkerung direkt betroffen war.
Den Schrecken des Krieges erfuhren die Gemminger an den einheimischen
Opfern. 54 Gefallene musste das Dorf am Ende des Krieges beklagen. Lange
geplante Versorgungs- und Infrastrukturmaßnahmen konnten nicht mehr
durchgeführt werden und warfen die Entwicklung des Dorfes um Jahre, wenn
nicht Jahrzehnte zurück.
Der Übergang von der Monarchie zu einem demokratischen Staatswesen
gelang erst nach revolutionären Aufständen, politischen Gewalttaten und
einer Inflation (1923), die die gesamte Wirtschaft lähmte und die Sparer um
ihre Ersparnisse brachte. Mit der Einführung einer neuen Währung kam es
zwischen 1924 und 1929 zu einem beachtlichen wirtschaftlichen Aufschwung,
doch dann sollte die Weltwirtschaftskrise alle guten Ansätze zunichte machen. Ein Heer von Arbeitslosen und
mit ihnen ihre Familien musste unterstützt werden. Die Unzufriedenheit mit dem Staat und seinen immer
häufiger wechselnden Regierungen wuchs und trieb die Wähler in die Arme der Radikalen. In einigen
Landgemeinden im Kraichgau hatte Hitlers NSDAP bei den Wahlen zum Badischen Landtag schon 1929 einen
enormen Zulauf bekommen.
Nach der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler (1933) machten sich die Nationalsozialisten sofort daran,
auch die Regierungsgewalt in den Ländern, Städten und Gemeinden zu übernehmen. Dabei konnten sie sich
auf die ungeteilte Zustimmung der Gemminger Bevölkerung verlassen, denn bei den Wahlen im November
1933 erhielt die NSDAP 99,6% der Stimmen. Zu einem erzwungenen Rückzug des seitherigen Bürgermeisters
Friedrich Bernhard Monninger - erstmals 1915 gewählt - kam es in Gemmingen jedoch nicht. Er blieb bis zu
seinem Tod am 01.01.1934 im Amt. Dann wurde Adolf Bechdolf, Mitglied der NSDAP, als Bürgermeister in
Gemmingen eingesetzt. Gleich zu Beginn des 2. Weltkriegs am 1. September 1939 wurden Lebensmittelkarten
ausgeteilt. Viele Dinge des täglichen Gebrauchs gab es jetzt nur noch auf Bezugsschein.
Die euphorischen Meldungen über die Siege der deutschen Wehrmacht wurden bald getrübt durch die
Nachrichten über im Kriege gefallene Gemminger. Die ersten Fliegerbomben fielen Ende August 1942 im
Gewann Schäufelesberg auf die Gemarkung und richteten Flurschäden an. Seit Februar 1945 nahmen die
Luftangriffe der alliierten Streitkräfte zu. Anfang April wich die Wehrmacht zurück. In Gemmingen endete der
2. Weltkrieg am 3./4. April 1945. US-amerikanische Truppen drangen aus Richtung Heilbronn kommend gegen
Schwaigern und Gemmingen vor, während französische Truppen in der Nacht vom 3. auf den 4. April Teile von
Eppingen einnahmen und am 4. April auch Stebbach eroberten. Nach dem Rückzug der Amerikaner besetzten
französische Truppen den Ort.
Das Kriegstagebuch des 80. Armeekorps der deutschen Streitkräfte berichtet: „3.4.1945: Im Laufe des
Nachmittags schiebt sich gepanzerter Feind über Ittlingen, Richen, Gemmingen, Berwangen und Massenbach
an die Hauptkampflinie südostwärts von Gemmingen heran“... und am 4.4.1945: „Schwaigern geht von 4
Panzern und Infanterie (US-Streitkräfte) angegriffen am Nachmittag verloren. Von Gemmingen greift der
Feind (französische Streitkräfte) mit 8 Panzern die Hauptkampflinie südlich von Gemmingen an ... “
Das deutsche Restkontingent hatte sich abgesetzt, nachdem das Dorf „vom rechts eingesetzten Arbeitsdienst
von hinten beschossen wurde und die hinter der Hauptkampflinie Flak-Artl. durch einige Kurzschüsse der
eigenen Truppe Verluste beigebracht hat. Dadurch entstand der Eindruck, vom Feind umgangen zu sein.”
Am 5.4.1945 lag die Front bereits südlich von Gemmingen und hatte sich auf eine Linie von Eppingen über
Stetten nach Nordheim verschoben.
Die Kampfhandlungen des 2. Weltkriegs waren damit für Gemmingen vorbei. Bis dahin hatten 102
Gemminger ihr Leben in einem sinnlosen Krieg für ein verbrecherisches Regime hergeben müssen, 36 gelten
als vermisst. Das Resultat des Krieges: Tod, Trauer, Zerstörung, Vertreibung, Entbehrung, Krankheit, Hunger,
Elend und Not.