Die Gemminger Kirche
Die alte Gemminger Kirche war ein spätgotischer Bau aus dem 14. und 15.
Jahrhundert. Pleikard von Gemmingen (†1515) ließ den ehemals getrennt von
der Kirche im freien Feld stehenden Turm abbrechen und veranlasste seinen
Anbau an das 1457 vergrößerte Langhaus.
Der untere Teil dieses Turmes bildet die Vor-
halle der heutigen Kirche. Ein Stein mit der
Jahreszahl 1516 schließt ihren Eingangsbogen.
Neben dem Hauptaltar im Chor der Kirche,
der dem heiligen Martin geweiht ist, gab es
sechs weitere Seitenaltäre, denen eigene
Pfründe und Geistliche zugeordnet waren. Das
Recht der Pfarrstellenbesetzung besaß seit
1486 das Domkapitel in Speyer, das neben
dem Hauptpfarrer auch einen Frühmesskaplan
bestellte.
Die Herren von Gemmingen verfügten über das Recht, die anderen Geist-
lichen bestimmen zu können, so auch den Prediger auf der 1512 gestifteten
Prädikatur. Die Stelle wurde 1513 mit dem reformwilligen Theologen Bernhard
Griebler besetzt, der nun als Prediger
neben dem katholischen Pfarrer
Johannes Diethalm und 5 weiteren
Kaplänen an der Gemminger Kirche
wirkte.
Als Martin Luther im April 1518
seine Reformgedanken vor Theolo-
gen der Heidelberger Universität
erläutern konnte, beeindruckte er
viele seiner jungen Kollegen, die im
Kraichgau bald in seinem Sinne
predigen sollten.
1521 befand sich Wolf von Gemmingen, der damalige Ortsherr, im fürstlichen
Gefolge auf dem Reichstag zu Worms, wo sich Martin Luther vor dem Kaiser
verantworten sollte. Wolf erlebte die Ereignisse um Luther aus der Nähe mit. Er
und viele weitere Reichsritter bewunderten Luthers Haltung und Standhaftigkeit
vor dem Kaiser und dem päpstlichen Gesandten.
Nach seiner Rückkehr nach Gemmingen dürfte Wolf den Geistlichen Bernhard
Griebler aufgefordert haben, im Sinne des Reformators an der Gemminger
Kirche zu predigen. Gemmingen gehört damit neben Neckarmühlbach, Sulzfeld,
Fürfeld, Neckarbischofsheim, Berwangen und Menzingen zu den allerersten
Gemeinden Deutschlands, in denen evangelischer Gottesdienst gehalten wurde.
Doch noch länger als 10 Jahre gab es in Gemmingen parallele Strukturen. Erst
1527 verließ der bisherige, vom Domkapitel Speyer eingesetzte katholische
Pfarrer Johannes Diethalm erstmals Gemmingen, um auf Bitten Speyers noch
einmal dahin zurückzukehren. Nach weiteren Beschränkungen seiner Arbeit
verließ Diethalm schließlich Gemmingen für immer. So gelang es Wolf nach
vorausgegangenem Streit mit Speyer also erst 1531, die Hauptpfarrerstelle mit
dem evangelischen Pfarrer Wolfgang Buss zu besetzen. Im selben Jahr erhielt der vielbeachtete Reformator
Franziscus Irenicus (Franz Friedlieb) aus Ettlingen, zuvor Hofprediger beim Markgrafen von Baden, die
Prädikatur übertragen. Fast alle katholischen Geistlichen hatten das Dorf bis dahin verlassen (müssen). Einen
katholischen Geistlichen für die Frühmesse gab es in Gemmingen aber noch bis 1535.
Als 1546 Kaiser Karl die Kraichgauer Reichsritter nach Heilbronn einbestellte, um sie aufzufordern zum
katholischen Glauben zurückzukehren, soll er von Wolf von Gemmingen zur Antwort bekommen haben, er, der
Kaiser, sei nach Gott sein oberster Herr, den er nicht betrüben wolle, doch wolle er das eher tun, als Gott zu
erzürnen, wenn er seine reine Lehre abschaffe. Ob Wolf diese mutige Antwort tatsächlich gegeben hat, muss
hinterfragt werden, denn die beiden evangelischen Geistlichen mussten während des Augsburger Interim
(1548-1552) nach einer kaiserlichen Verordnung den Ort verlassen. Nach Ende des Interim aber kehrten beide
zurück, und von nun an blieb Gemmingen evangelisch.
1841 war das Langhaus der Kirche so baufällig geworden, dass es in den folgenden
Jahren abgebrochen werden musste. Im Mai 1846 wurde der Grundstein für ein neues
Langhaus gelegt, das bereits am Reformationstag des folgenden Jahres eingeweiht
werden konnte. Die neue Kirche steht nicht wie die alte in Ost-West-, sondern in Nord-
Süd-Richtung. Lediglich die Eingangshalle und Teile des Turmes blieben von der alten
Kirche erhalten.
Im 3. Reich war die Evangelische Kirche Gemmingen mit ihrem der Bekennenden
Kirche angehörenden Pfarrer Christian Günther ein Hort der Standhaftigkeit gegenüber
der nationalsozialistischen Einvernahme. Pfarrer Günther widersetzte sich unter
Inkaufnahme von Repressalien gegen sich und seine Familie konsequent und hartnäckig
der braunen Ideologie. Nach dem Ende des 2. Weltkriegs öffnete er die evangelische
Kirche den vielen Katholiken, die als Heimatvertriebene nach Gemmingen gekommen
waren, zur Ausübung ihres Gottesdienstes.
(Katholische Kirche siehe Gemmingen im 20. Jahrhundert 2)