Die Herren von Gemmingen   Die Freiherren von Gemmingen sind ein altes, reichsunmittelbares Ritter-  geschlecht, das vermutlich aus dem Ministerialadel hervorging und sich nach  dem Ort Gemmingen benannte. Die zunächst unfreien Angehörigen dieser  Schicht entstammten dem Bauernstand und erwarben sich als tüchtige und  loyale Amtleute des überregionalen Adels Verdienste in einer besonderen  Funktion. Im 12. Jahrhundert wurden sie sogar lehnsfähig, erhielten vorerst  nicht vererbbare Dienstlehen und leisteten dafür ritterliche Dienste. In  Ausübung ihrer Amtspflichten entfernten sich die Ministerialen mehr und mehr  von ihrem bäuerlichen Ursprung. Mit dem zunehmenden Bedarf an Hof-,  Verwaltungs- und Kriegsdiensten sowie mit der Festlegung ihrer Rechte und  Pflichten verschwanden die letzten Reste der Unfreiheit; der Ministerialadel  bildete schließlich mit den Angehörigen des Hochadels die Ritterschaft.     Die Ministerialen übernahmen Aufgaben in der Verwaltung von Gütern und  Dörfern, zogen Steuern und Abgaben ein, hielten Gericht, leisteten  Kriegsdienst und andere Dienste, die ihnen von ihren hochadeligen Herren  aufgetragen waren. Aus dieser Position heraus bildete sich das ritteradelige  Geschlecht der Herren von Gemmingen, das spätestens im 12. Jahrhundert  das Eigentum am Dorf Gemmingen erlangen konnte.        Erster Vertreter in der Stammreihe  der Familie soll der Überlieferung nach  Hans von Gemmingen gewesen sein.  Mitte des 13. Jahrhunderts habe er als  kaiserlicher Landvogt in Sinsheim am-  tiert und sei Herr der ‘Mittleren Burg’ in  Gemmingen gewesen.     Nach ihm soll Albrecht, der 1275 er-  wähnt wird, die ‘Mittlere Burg’ bewohnt  haben, während Dieter, genannt von  Hoven, in der zweiten Hälfte des 13.  Jahrhunderts die ‘Obere Burg’ erbauen  ließ.  Swicker(=Schweikhard), erwähnt 1274, gilt als Bauherr der ‘Unteren Burg’. Als Wasserburg angelegt und mehrfach über- und umgebaut (zuletzt 1592), steht es als ‘Unteres Schloss’ noch heute an derselben Stelle und gilt als eines der schönsten Renaissanceschlösschen im Kraichgau. Alle drei, Albrecht, Dieter und Swicker, sollen der Überlieferung nach Hans von Gemmingens Söhne gewesen sein.   Jeder Burg - schließlich sprach man von Schlössern - waren Häuser und Höfe  mit Äckern, Wiesen und Weingärten abgabenpflichtig sowie ein Stück des  Waldes zugeteilt. Die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung in Dorf und  Flur blieb eine gemeinsame Aufgabe.     1497 wurde den Herren von Gemmingen eine besondere Gunst zuteil. Kaiser Maximillian verlieh ihnen das  Recht, ein ‘Halß- und Hochgericht, Stock und Galgen’ errichten zu dürfen. Damit erhielten die Herren von  Gemmingen das Recht, über Raub, Mord, Diebstahl, Notzucht, Hexerei und weitere schwere Verbrechen richten  zu lassen. Höchststrafen waren die Verstümmelung, die Hinrichtung durch Erhängen am Galgen, die  Enthauptung mit dem Beil oder die Verbrennung auf dem Scheiterhaufen. Die Todesstrafe wurde in  Gemmingen tatsächlich mehrmals vollstreckt.        Trotz dieses hohen Rechts hatten die Herren von Gemmingen nicht die volle Souveränität über ihr Gebiet.  Das Geleit, also das Recht über die Nutzung der Straßen und Wege, lag bei Württemberg und der Kurpfalz, die  hier Zoll erhoben. Die rechtlichen Verhältnisse in einem reichsritterschaftlichen Dorf wie Gemmingen waren  häufig kompliziert und nicht einfach zu durchschauen. Das hielt die Herren von Gemmingen nicht davon ab, ihr  Eigentum zu veräußern oder ihre Schlösser mächtigeren Herren zu Lehen aufzutragen. So wurden im Lauf der  Jahrhunderte mit vielen Territorialfürsten Verträge über Kauf und Rückkauf Gemminger Güter und Liegen-  schaften abgeschlossen; die Reichsunmittelbarkeit des Dorfes und des Rittergeschlechts als ‘nur Gott und dem  Kaiser untertan’ wurde dadurch aber nicht angetastet.    Mitte des 16. Jahrhunderts hatte die Linie Gemmingen-Guttenberg alle drei Schlösser samt Zugehör in ihren  Besitz gebracht und war nun alleiniger Herr im Dorf. 1664 verkaufte Hans Rudolf von Gemmingen das ‘Obere  Schloss’ samt 3/8 der Ortsherrschaft für 10.000 Gulden an Herzog Eberhard III. von Württemberg, dessen  Nachfolger diesen Anteil 1710 den Herren von Neipperg zu Lehen übertrug. Der Zustand der zweigeteilten  Ortsherrschaft (Kondominat) dauerte bis zum Untergang des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation im  Jahre 1806. Durch die Abdankung des Kaisers verloren die Reichsritter ihren Schutzherrn, und ihre  Besitzungen waren nun dem Zugriff mächtigerer Fürsten ausgeliefert. Mit der Mediatisierung der reichsritter-   schaftlichen Gebiete im Kraichgau durch Baden und Württemberg mussten sich die Herren von Gemmingen  erstmals einem Landesherrn unterstellen und nahezu alle ihre Souveränitätsrechte abgeben. Bis dahin gehörte  Gemmingen dem Ritterkanton Kraichgau an; erst seit 1806 ist es badisch. Die Herren von Gemmingen  verloren ihren Status der Reichsunmittelbarkeit und mussten die Oberhoheit des Großherzogs von Baden über  ihre seitherigen Gebiete anerkennen.  Die Reichsritterschaft war ein Zusammenschluss des überwiegend aus der Ministerialität  hervorgegangenen Adels in Süd- und Westdeutschland, der die alleinige, also unmittelbare  Unterordnung unter Kaiser und Reich bewahren konnte. Die Territorialstaatlichkeit ihrer  Mitglieder wurde 1559 vom Kaiser anerkannt. Die Reichsritter gehörten dem niederen Adel  an, hatten aber auf den Reichstagen weder Sitz noch Stimme. Um ihre gemeinsamen  Interessen besser vertreten zu können, schlossen sich die Kraichgauer Ritterfamilien im  ‘Ritterkanton Kraichgau’ zusammen. Zu Landesfürsten wie dem Kurfürsten von der Pfalz,  dem Markgrafen von Baden oder dem Herzog von Württemberg standen sie in vielfältigen  Lehns- und Dienstbeziehungen. Mitgliedern der Reichsritterschaft gelang sogar der Aufstieg  in höchste Ämter. Uriel von Gemmingen (1468-1514) wurde 1508 zum Erzbischof von Mainz gewählt. Damit  war er Reichsfürst und zugleich einer der sieben Kurfürsten, die den König wählen durften. Darüber hinaus war  das Amt des Mainzer Erzbischofs verbunden mit dem des Reichs-Erzkanzlers für Germanien; Uriel von  Gemmingen war so nach dem Kaiser zweiter Mann im deutschen Reichsgebiet.  (Unteres) Schloss in Gemmingen mit 'Hexenturm' ca. 1960 Uriel von Gemmingen, Erzbischof des Erzbistums Mainz 1508-1514 Lage der Gemminger Schlösser (einmal als Wasserburgen angelegt)